Inzwischen kannst du es ja sicher schon mantraartig mitbeten, was unsere Mission ist. Und los! “Neben dem langfristigen Ziel Bundesliga wollen wir auch Aufmerksamkeit abseits des Spielfelds erzeugen: für mehr Fußball mit Frauen und mehr Geld für den Sport mit Frauen!” Dafür brauchen wir: 1. Sportlichen Erfolg (Check. Unangefochten auf Tabellenplatz 1 - yeah!) 2. Sichtbarkeit (Siehe Aktuelles.) 3. Interesse - ergo Zuschauer*innen (guckstu Termine!) 4. Professionelle Strukturen. Dazu gehört auch ein tiptop Stadion.
Das Fassungsvermögen der Stadien der 1. und 2. Bundesliga muss mindestens 15.000 Zuschauer*innen betragen, wobei mindestens 3.000 Sitzplätze vorhanden sein müssen. Bei den Männern wohlgemerkt. In der Bundesliga der Frauen muss man ein Stadion mit einem Fassungsvermögen von mindestens 2.000 Plätzen, davon mindestens 300 Sitzplätzen vorweisen können. (Wundersamerweise ist das Fassungsvermögen für die 2. Bundesliga der Frauen gar nicht erst definiert.)
Aber die Zuschauer*innenzahlen beim Fußball mit Frauen steigen stetig.
Der 1. FC Köln zum Beispiel peilte für das Spiel gegen das Topteam Eintracht Frankfurt am 23. April im RheinEnergie-Stadion einen neuen Besucher*innenrekord an. 38.365 Menschen kamen ins Stadion und stellten damit einen neuen Rekord für die Bundesliga der Frauen auf. Dass Fußball mit Frauen nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart ist, haben mittlerweile auch die Führungskräfte bei Hertha BSC verstanden und als letzter Verein der Männer-Bundesliga nun ein Frauenteam - wenn auch nicht selbst gegründet - so doch zumindest übernommen. Unsere Nachbarinnen und Liga-Konkurrentinnen von Hertha 03 Zehlendorf nämlich. Was die Stadioninfrastruktur betrifft: Ein Umzug aufs Olympiagelände findet vorerst nicht statt. Aber immerhin einzelne Spiele und Trainingseinheiten der Frauenteams können dort ausgetragen werden, bis eine ganzheitliche Lösung für Trainings- und Spielmöglichkeiten gefunden wird, heißt es. Auf jeden Fall ist es ein großartiges Zeichen für Frauen im Sport.
Ganz ehrlich - Viktoria hat mit einer Gesamtkapazität von 4.300 Zuschauer*innen natürlich noch genug Platz im Stadion Lichterfelde. Aber was, wenn es dir bei deinem nächsten Besuch so gut gefällt, dass du deine Kinder, Enkel, Nichten, Neffen, Freund*innen, Bekannte, entfernte Verwandte, Arbeitskolleg*innen und den Hund der Nachbarin der Tante mitbringen willst? Wir wollen schließlich auch hoch hinaus und dieses Jahr zumindest schon mal in die 2. Bundesliga aufsteigen.
Was bedeutet das dann für ein Stadion wie unseres in Lichterfelde? Wir können nicht einfach mal eben um- oder anbauen. Unser Stadion ist von 1929 und denkmalgeschützt (die sanitären Anlagen wirken wirklich wie vor dem Krieg).
Aber in der Welt des Fußballs gibt es wirklich wundersame Ideen.
Beispiel: Mobile Stadien aus dem Baukasten.
Quiz: Wie viele Glühbirnen braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Richtig, zwei. Die alte Birne und ein neues Leuchtmittel. Das dauert ungefähr eine Minute. Und wie lange braucht man für den Bau eines neuen Fußballstadions? Zwei bis drei Monate. Und dafür ist nicht mal eine kaputte Glühbirne oder ein altes Stadion nötig. Der Fußballverein Vancouver Whitecaps trat in der Saison 2011 erstmals in der nordamerikanischen Profiliga MLS an. Doch weil das Stadion damals renoviert wurde, mussten die Whitecaps in einer Ausweich-Arena spielen. 50 Mitarbeitende der Schweizer Eventbaufirma Nüssli haben seinerzeit das temporäre Empire Field Stadium hochgezogen. Mit VIP-Logen, Flutlicht und allem was dazu gehört. Kostenpunkt für das knapp 28.000 Zuschauer*innen fassende Stadion: umgerechnet 10,6 Millionen Euro. Bauzeit: nur drei Monate! Noch nie zuvor wurde in Nordamerika ein voll funktionsfähiges Stadion in so kurzer Zeit gebaut. Alles Dank Nüssli. Und dabei sagt man ausgerechnet den Eidgenossen eine gewisse Langsamkeit nach. Aber es geht sogar noch schneller. Als Lena Meyer-Landrut 2011 mit dem Eurovision Song Contest die Esprit-Arena blockierte, musste Fortuna Düsseldorf für die letzten Heimspiele der Saison umziehen. In ein Stadion aus dem Baukasten. Eine ungewöhnliche Stahlrohrkonstruktion mit Containern wurde zum Übergangsstadion im angrenzenden Arena-Sportpark. 170 LKW-Ladungen Material wurden rangekarrt. Schließlich musste man temporär alles neu bauen: von den Tribünen und Umkleidekabinen, über die Presseräume bis hin zur Bratwurschtbude. Bauzeit: weniger als zwei Monate für über 20.000 Plätze. Nie zuvor wurde in Deutschland ein Fußballstadion dieser Größe so schnell aufgebaut - und nach gerade mal vier Spielen nach 60 Tagen wieder abgebaut. Die Düsseldorfer Vier-Spiele-Arena für schlappe drei Millionen Euro. Nüsslis wiederverwertbare "NT-Tribünensysteme" haben als Provisorium eigentlich eine voraussichtliche Nutzungsdauer von fünf Jahren, könnten Vereinen aber auch längerfristig als Heimspielstätte dienen. Bereits 2007 entstand so das Stadion des SV Wehen Wiesbaden. Der Bau einer neuen Arena war damals mit dem Aufstieg in die 2. Fußball-Bundesliga notwendig geworden. Die 13.000 Zuschauer fassende BRITA-Arena wurde von der Firma Nüssli in 112 Tagen erbaut und kostete rund 16,0 Millionen Euro. Und damit ist so ein Bau immer noch wesentlich günstiger als ein herkömmliches Beton-Stadion. Bevor wir aber der Frage auf den Grund gehen, ob sowas - temporär oder nicht - auch in Berlin ginge, reisen wir noch kurz nach Katar.
Stadion 974
Die bunte Arena wurde für die Fußball-WM 2022 extra neu gebaut und sieht aus wie ein Lego-Technik-Bausatz meines sechsjährigen Neffen. Mit dem Unterschied, dass jedes sichtbare Kabel des Stadion 974 auch eine Art PR-Botschaft ist. So nach dem Motto: “Schaut her, dieses Stadion ist komplett zerlegbar und steht nur für sieben Spiele in zwei Wochen!” Das letzte Spiel in dieser mobilen Container-Arena fand am 5.12.2022 bei der Partie Brasilien gegen Südkorea statt.
974 recycelte Schiffscontainer sind die Hauptbestandteile des “Stadium 974”, das am Hafen der Hauptstadt Doha steht. Sogar der Fifa-Präsident bekam hier nur einen Container als Ehrenloge.
(Credit: picture alliance / Kyodo)
Das Stadion 974 wurde oft als das erste mobile Stadion der Welt gerühmt. Katar nannte es gar sein „Leuchtfeuer der Nachhaltigkeit“. Eine reine PR-Aktion? Offenbar wurden CO2-Werte kleingerechnet. Und dann war da ja noch was. Das Stadion sollte kurz nach der WM wieder verschwinden. Eigentlich. Theoretisch kann es für jedes andere große Sportereignis derselben Größe oder als mehrere kleinere Einrichtungen wiederverwendet werden. Berichten zufolge sollte die Container-Arena nach Uruguay transportiert werden, als Unterstützung bei der Bewerbung um die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2030. Die Süddeutsche Zeitung fragte im Dezember vergangenen Jahres mal nach. Laut WM-Organisationskomitee werde der Zeitplan zum Abbau und zur Wiederverwendung des Stadions "gerade finalisiert", hieß es da. Die FIFA verwies auf den "Vermächtnis-Plan". In diesem steht, dass das Stadion komplett abgebaut werden soll, um die Promenade von Doha zu einer “Premium-Loaction für neue Zwecke” zu machen. Was auch immer das bedeutet…
Denn was soll ein Drei-Millionen-Einwohner-Land wie Katar heute mit acht modernen Arenen, die zwar jahrelang unter menschenunwürdigen Bedingungen gebaut wurden, aber nach der WM keinen Zweck mehr haben? Verwaiste Stadien sind nach sportlichen Großereignissen ein bekanntes Phänomen, für das es sogar einen eigenen Ausdruck gibt: "Weiße Elefanten". Übriggebliebene WM-Stadien gab es ja auch nach den Turnieren in Südafrika (2010), Brasilien (2014) und Russland (2018). In Deutschland (2006) verkalkulierte sich der 1.FC Kaiserslautern mit dem Stadionausbau.
Schön, aber denkmalgeschützt: unser Stadion in Lichterfelde; Gesamtkapazität: 4.300 Zuschauer*innen.
(Credit: Sportamt Steglitz-Zehlendorf)
Was ist mit Berlin?
Mietbare, temporäre Tribünen oder gleich ganze Stadien - individuell konfigurierbar, ob linear oder mit Kurve - sind also eine tolle Sache, weil sie theoretisch flexibel demontierbar, kosteneffizient und damit nachhaltig sind. Wenn man denn will. Baufirmen mobiler Stadion-Lösungen werben damit, sogar auf schwierigem Untergrund für komfortable und sichere Publikumsplätze sorgen zu können. Zum Beispiel an schneebedeckten Berghängen, im Wasser (!) oder an denkmalgeschützten Orten. Ist das die Zukunft des Sportstättenbaus? Wäre sowas auch in Berlin denkbar? Schließlich haben wir zu wenig Sportplätze. Und wenn irgendwann der Viktoria-Traum von der Bundesliga in Erfüllung geht sowie unser Ziel, immer mehr Menschen vom Sport mit Frauen zu begeistern, brauchen wir irgendwann vielleicht ein entsprechendes Stadion. Bis jetzt konnte allerdings weder jemand auf Bezirks- noch auf Landesebene unsere Fragen zur Machbarkeit solcher Projekte in Berlin etwas sagen. Aber wir bleiben dran. Frauen und Sport in Berlin: To be continued.
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