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Fußball neu denken - Ein Team als Start-up

Als vor einigen Jahren die erste Männermannschaft vom FC Viktoria 1889 Berlin in eine GmbH ausgegründet wurde, war auch bereits das Frauenteam mit dabei. Dieses Regionalligateam wurde vergangenes Jahr von sechs Frauen (Ariane Hingst, Felicia Mutterer, Katharina Kurz, Lisa Währer, Tanja Wielgoß und Verena Pausder) übernommen. Aber warum hat es Sinn ein Team als Teil eines Start-up zu sehen? Ein Interview mit Co-Gründerin Verena Pausder.


Verena Pausder FC Viktoria Berlin


Sie ist nicht nur Unternehmerin und Expertin für digitale Bildung, sondern: “im positiven Sinne größenwahnsinnig".

(Credit: Patrycia Luckas)




INTERVIEW MIT VERENA

Aktuell liegen Frauen im Teamsport wirtschaftlich gesehen Welten hinter den Männern. Inwieweit sind Frauen im Fußball für dich ein Business Case?


V | Die Welten sind deshalb so weit auseinander, weil es gerade erst losgeht, Frauenfußball als Business Case möglich zu machen. Bisher bekam man für die Fernsehrechte ja kein Geld. Das ist jetzt erstmalig neu. Es gab keine oder nur minimale Gehälter in der Regionalliga. Sponsoren folgen ja auch Reichweiten. Und man hat es noch nicht bewiesen bei Liga- oder Regionalligaspielen, dass es große Reichweiten geben könnte. Das ist in den letzten Jahren oder Monaten anders geworden. Erhebungen zeigen, dass die Reichweiten zunehmen, dass die Spiele richtig stark geguckt werden. Das EM-Finale der Frauen letztes Jahr war in Deutschland reichweitenstärker als das WM-Finale der Männer.


(13,86 Millionen Menschen sahen das WM-Endspiel der Männer zwischen Argentinien und Frankreich - 17,952 Millionen Menschen guckten am 31. Juli das EM-Finale der Frauen. Anm. d. Redaktion).


Das alles führt dazu, dass man jetzt erstmals über Frauenfußball als Business Case sprechen kann. Wenn wir auf uns gucken, dann haben wir jetzt Sponsorengelder im mittleren sechsstelligen Bereich pro Saison, was einfach bisher undenkbar war.


Du hast vorher gar nicht daran geglaubt, dass so viel zusammenkommt?

V | Doch, ich habe schon daran geglaubt. Ich bin ja sozusagen im positiven Sinne größenwahnsinnig. Wenn du die Latte zu niedrig legst oder wenn du gewisse Dinge nicht versuchst oder es einfach noch keiner versucht hat, dann gibt es ja keinen Beweis dafür oder dagegen.


Als wir losgelaufen sind, um mit Sponsor*innen zu sprechen, haben wir gesagt: Es wird ja wohl möglich sein, eine Regionalliga der Frauen so zu finanzieren, dass sie ordentlich trainieren kann, dass die Spielerinnen ausgerüstet sind, dass sie Physio bekommen, dass wir ins Trainingslager fahren können und das damit auch das Leistungsniveau entsprechend steigen kann.


Ihr hättet ja auch höher ansetzen und an Vereine wie Hertha rangehen können. Die haben zwar keine Frauen, aber da ist ja schon eine Struktur, da sind Ressourcen vorhanden...


V | Nee, das liegt bei mir persönlich an meinen Start-up-Genen. Ich finde es bedingt spannend, etwas zu übernehmen, was schon da ist. Viel spannender ist doch, wenn man das Gefühl hat, das kann ein Erfolg werden, es kann aber auch gar nicht klappen. Ich brauche die ganze Amplitude der Möglichkeiten, damit mich etwas wirklich motiviert.


Was wir in diesem Land gerade vielfach erleben: Wenn die Herren in der ersten Bundesliga spielen, dann gibt es auch ein Frauenteam. Da ist dann aber ein Großteil der Geschichte schon geschrieben und sehr männlich geprägt. Wir wollen die Geschichte mit unseren Spielerinnen und dem Verein zusammen schreiben.

Wir wollen zeigen, dass Frauen höherklassiger spielen können als die Männer.


Unter dem Motto: Guckt mal, wenn man Frauen mehr Reichweite, mehr Aufmerksamkeit, mehr Scheinwerfer oder Flutlicht, mehr Geld gibt, dann können sie auch dann sehr gut spielen, wenn die Männer nicht erfolgreicher sind!

So rufen wir hoffentlich ganz viele Vereine auf den Plan, die die Frauenmannschaft nicht als B-Team, als Anhängsel der Männer sehen, sondern als A-Team.


Viktoria will innerhalb von fünf Jahren von der Regionalliga in die Bundesliga aufsteigen und ist gleichzeitig ein Start-Up. Das ist deutschlandweit einmalig. Warum macht es Sinn, ein Team als Start-up zu sehen?


V | Im Fußball, wie auch in vielen Konzernen, die es schon lange gibt, hat man sehr festgefahrene Strukturen und Glaubenssätze, die lange nicht mehr auf den Prüfstand gestellt wurden.


Wenn man das Ganze als Start-up begreift und neu überlegt, wie würde man es machen, wenn man einzig und allein daran interessiert ist, dass alle zusammen an diesem Erfolg partizipieren, wenn es nicht um individuelle Egos, sondern um Teamgeist geht - dann baust du Strukturen anders. Wir sind sechs Gründerinnen und ich kenne keinen Verein, der von sechs Frauen oder auch nur von sechs Menschen auf Augenhöhe geführt wird.


Es gibt sonst immer den einen Geschäftsführer, der alles entscheidet, den einen Präsidenten, der alles überstrahlt. Bei uns ist es ein partizipatives, respektvolles Miteinander. Präsident, Geschäftsführerin, Trainer, alle Gründerinnen arbeiten ganz eng zusammen. Da hat jeder und jede eine Stimme. Niemand macht etwas, weil man es muss - wir alle machen es, weil wir es wollen. Ich glaube, das macht den Unterschied.


FC Viktoria Berlin Founders


“Wir wollen mehr, als nur mehr Frauen im Fußball”,

sagt Verena Pausder (Mitte)






Idealismus in allen Ehren - neben dem sportlichen Erfolg muss ja auch unternehmerischer Erfolg her. Aber der Goldrausch ist ja gerade vorbei. Die Start-up-Branche ist in der Krise. Was sind die aktuellen Herausforderungen?


V | Ich würde jetzt nicht sagen, dass die Start-ups generell in der Krise sind. Climate Tech Start-ups sammeln gerade riesige Summen ein und wachsen so stark wie noch nie. Im Food Tech Bereich gibt es große Innovationen, die jetzt gerade erst durchbrechen.


Gewisse Modelle sind unter Druck und es fließt wesentlich weniger Kapital als noch letztes Jahr, ja. Aber wir sehen es so: Die Kosmetikbranche verkauft Hoffnung und nicht Cremes. Und wir verkaufen Emotionen und nicht einen Aufstieg oder Sieg. Wir verkaufen Gemeinschaft. Alle sind Teil dieser Geschichte.


Wir haben Investorinnen und Investoren, die aus Überzeugung mitmachen. Natürlich wollen sie kein Geld verlieren. Aber wir haben bisher nicht das Gefühl, dass uns das Geld ausgehen könnte oder wir kein neues Kapital bekommen. Und ich bin Betriebswirtin. Jenseits von Idealismus und Teamspirit wollen wir, dass das auch finanziell erfolgreich wird, dass wir ein kerngesunder Club sind, der sich aus sich heraus trägt, wo wir die Leute fair bezahlen können. Wo alle partizipieren und gewinnen.


Das alles geht nur mit Netzwerken. DFB und DOSB haben vergangenes Jahr erklärt, Bewegung sei Querschnittsaufgabe in allen Bereichen - nicht nur im Sport, sondern auch in den Ressorts Gesundheit, Soziales, Jugend, Familie, Bildung, Verkehr und Stadtentwicklung. Ganz schön viel, wenn wir über ein Regionalligateam reden, oder?


V | Ist es. Aber das ist natürlich genau der Grund, warum wir es machen. Wir wollen ja gesellschaftlich was verändern. Mädchen sollen eine Perspektive haben, den größten Volkssport unseres Landes genauso spielen zu können wie Jungen. Sportvereine sind ja der letzte Ort, wo die Gesellschaft sich wirklich trifft, wo es nicht Blasen und Bubbles gibt, sondern wo alle aufeinander treffen. Sich mit Verwaltung, mit Stadt, mit Kommunen, mit Nachbarschaften zu vernetzen - das kommt eigentlich alles viel zu kurz in einer erstens digitalen Welt und zweitens einer, wo man sich immer mehr zurück in seine Kieze und seine Bubble zieht.


Ich mag, dass wir mit so vielen Stakeholdern sprechen. Das ist zwar anstrengend, aber deswegen sind wir auch zu sechst. Da können wir uns gut aufteilen, da muss nicht eine alles machen. Und dann ist es eben auch wirklich ein Projekt dieser Stadt und nicht einfach nur ein Projekt eines Stadtteils oder einer gewissen Blase, in der wir uns befinden.


Stichwort “Fußball neu denken” - Welches Potenzial siehst du noch bei Viktoria?


V | Das Potenzial ist, dass wir gemeinnütziges Engagement jenseits unseres Vereins denken. Wir wollen nicht nur in unserem Verein die Strukturen verändern, sondern wir wollen mit Viktoria Berlin generell Strukturen in ganz Deutschland verändern.

Wir gehen jetzt auch rein in gemeinnützige Initiativen, die Mädchenfußball fördern, die für mehr Integration und Inklusion im Sport stehen. Wir engagieren uns bei den Special Olympics diesen Sommer. Wir wollen mehr, als nur auf unserem Platz gewinnen. Wir wollen mehr, als nur mehr Frauen im Fußball.


Ich liebe es ja immer, wenn man einfach zeigt, dass es geht. Wir sind sechs Frauen, die eine Mannschaft übernommen haben und den großen Traum haben, mit dieser in 5 Jahren in der ersten Bundesliga zu spielen. Wir sind Tabellenführerin, das ist ein ganz guter Beweis dafür, dass wir nicht alles falsch machen. Der FC Viktoria ist einfach mein absolutes Herzensprojekt.



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