Unser Team hat jetzt eine niegelnagelneue und ganz eigene Hymne! Geschrieben und gesungen von Suzie Kerstgens und ihrer Band KLEE!
I N T E R V I E W M I T S U Z I E K E R S T G E N S
"FC Bayern - Stern des Südens", Frank Zander mit "Nur nach Hause" oder Nina Hagens "Eisern Union" - welcher ist dein liebster Fußballsong?
S | Wow, da kommst du ja direkt mit harten Fragen um die Ecke. Ich habe zu allen drei genannten Songs eigentlich keinen Bezug. Nina Hagen war allerdings damals, als wir unseren Song "Gold" im legendären Conny Plank Studio recorded haben, auch dort. Privat. Und sie hat tatsächlich den kompletten Song einmal mitgesungen. Irgendwo in unserem Archiv liegt diese tolle Aufnahme auch noch verborgen. Auf unserem Album "Jelängerjelieber" singt sie bei "Gegen den Strom" mit. Ich habe von Nina viel über das Leben als Sängerin im Musik-Business gelernt und sie hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen. Als Kind war ich echt mal Fan von Frank Zander. Wahrscheinlich wegen seines Songs "Oh Susi …". Allerdings habe ich damals die Anspielungen im Text nicht verstanden. Ich dachte, es sei einfach ein lustiges Lied. Cringe! FC Bayern – Stern des Südens? Sterne sind ganz einfach Kugeln aus Gas. Irgendwann verglühen sie. Aber im Ernst, die meisten Fans eines Vereins machen sich wahrscheinlich – so wie ich damals bei "Oh Susi" – gar keine tieferen Gedanken über ihre Vereinshymne. Diese wird einfach mitgesungen wie ein Lullaby. Obwohl es sich bei dem einen oder anderen Lied schon mal lohnen würde, Musik und Inhalt zu hinterfragen. Was aber ist mein liebster Fußballsong in der Bundesliga? Den Battle würde, unabhängig von der Vereinszugehörigkeit, die FC Köln Hymne "Mer stonn zu dir FC Kölle" gewinnen, weil der Song in meiner Heimatstadt Köln, nicht nur in der Welt des Fußballs stattfindet, sondern seinen Platz auch mitten im Kölner Alltag hat. Zum Beispiel im Straßen-Karneval. Und da singe ich dann auch leidenschaftlich mit.
Welche Rolle spielt denn Fußball generell in deinem Leben?
S | In meiner Familie hat Fußball keine Rolle gespielt. Ich bin nie in den fragwürdigen Genuss gekommen, am Samstagnachmittag während der Konferenzschaltung im Radio das Auto waschen zu müssen oder nach "Wetten, dass" auf das Aktuelle Sportstudio zu warten. Ich vermute auch, dass es damals am Niederrhein für Mädchen oder Frauen kaum Möglichkeiten gab, Vereinsfußball zu spielen. Als wir mit den Nachbarskindern gekickt haben, musste ich jedenfalls immer ins Tor und das war wirklich nicht das Gelbe vom Ei. Mit Anfang 20 habe ich dann in meine erste Stadionwurst gebissen. Das war am Bökelberg. Gladbach gegen Bremen. Spektakulär. Ich kann mich nur noch an die Wurst erinnern. Nach 16 Jahren WG-Leben mit meiner Freundin, die ein großer Köln-Fan ist, weiß ich sogar, was Abseits ist. Das klingt alles nach einem ziemlich rosa-rotem Klischee? Ja, das stimmt. Aber hey … gib mir eine Chance … Seitdem mein Herz für den FC Viktoria Berlin entflammt ist, ist auch meine Welt himmelblau!
Die Fankultur in Deutschland und auch die Fangesänge hierzulande sind ja überwiegend männlich dominiert. Da wird oft eher gebrüllt als gesungen. Oder wie siehst du das als Sängerin?
S | Es gibt die These, dass das Paradoxon männlich dominierter Fangesänge, weil sogenannte Männer ja eigentlich gar nicht gerne öffentlich singen, in Stadien aufgehoben zu sein scheint. Das ist nicht von mir, das ist von Musikprofessor Georg Brunner. Der sagt, es müssen drei Dinge zusammenkommen: Ein alkoholisches Getränk wie Bier. Eine nicht alltägliche Bewegung wie Hüpfen, Schunkeln, Klatschen. Und nicht alltägliche Kleidung wie Trikots, Schals oder Kutten. Dazu kommt das Phänomen der Masse. Da sinkt dann die Hemmschwelle mitzusingen und damit einhergehend – und das behaupte ich – anscheinend auch das Niveau.
Suzie Kerstgens, 1971 in Geldern geboren, absolvierte eine klassische Ballett- und Tanzausbildung und studierte Philosophie und Germanistik. Bekannt wurde sie als Sängerin, Texterin und Gründungsmitglied der Band KLEE. Seit mehr als 25 Jahren ist sie als Frau im Musik-Business unterwegs, einer vermeintlich progressiven Branche.
(Credit: Marina Weigl)
Du hast mal gesagt: "Die Musikindustrie ist ein Buddy-Biz, in dem sexistische Normen unbewusst und unverarbeitet weitergegeben werden. Deshalb ist es so wichtig, weibliche, non-binäre und eben alle Talente als selbstverständlich gleichberechtigt anzuerkennen (...). Mehr Frauen auf der Bühne führen zu mehr Frauen auf der Bühne." Siehst du da Parallelen zum Fußball-Business?
S | Ja, da sehe ich deutliche Parallelen zum Fußball-Business, denn da sind die Strukturen ähnlich verhärtet und ganz offensichtlich männlich dominiert - in nahezu allen Bereichen. Im Musik-Business werden die Parameter langsam neu definiert, indem sich mehr und mehr sichtbare, diverse Allianzen bilden, die laut sind und ein Umdenken fordern. Aber beim deutschen Fußball traut sich bislang irgendwie noch keiner so richtig, den alten Speck durchzurütteln, um die männlich dominierte DFB-Oligarchie mal ordentlich zu revolutionieren, um den Herren die Augen zu öffnen und sie in die Realität zu begleiten. Die vorherrschenden Strukturen sind sowohl im Musik-Business als auch im Fußball-Business nicht mehr zeitgemäß.
Was kann Musik daran ändern?
S | Musik kann dazu auffordern, neu zu denken, anderes zu denken. Musik kann Mut machen, provozieren - und Musik kann auf eine ganz universelle und unmittelbare Weise in den buntesten Farben Sprachrohr einer neuen Gesellschaft sein, die endlich Schluss machen will mit der alten Leier des Patriarchats, das immer noch vor’m Eierlikör sitzt und an alten Nussecken knabbert.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem FC Viktoria Berlin?
S | Das war entweder ein glücklicher Zufall oder es war einfach Schicksal. Viktoria Mitgründerin Felicia Mutterer war im Dezember auf einem KLEE-Konzert im Kölner Club Luxor und ich glaube, dort wurde spontan die Idee geboren, dass unser Song "Gold" quasi maßgeschneidert sei für Viktoria. Nicht lange danach haben wir uns bei ihr Zuhause bei Glühwein und in Wollsocken getroffen und die Details besprochen. Das fühlte sich alles sehr organisch an. Wir haben sofort gematched und hatten sehr viel Spaß. Ich spürte ihre Begeisterung für den Verein und der Funke sprang sofort.
Die Viktoria-Hymne ist eine Überarbeitung eures KLEE-Hits "Gold" von 2005. Im Original-Text heißt es "Wir blieben lang unerkannt und dann sind wir hinaus in die Welt, hinein ins Licht. Erst allein, dann Hand in Hand." Das klingt ja schon fast nach der Viktoria-Erfolgsstory und der Emanzipation des Fußballs mit Frauen. Worum ging es dir damals?
S | Ja echt, ne? Das passt wirklich richtig gut. Das war Sten (Sten Servaes, Piano, Keyboard und Gesang bei KLEE; Anm. der Redaktion) und mir auch enorm wichtig bei der ganzen Sache: dass alles organisch bleibt und für alle Beteiligten eben auch authentisch ist. (Inflationär benutztes Wort, aber in dem Fall passt es tatsächlich.) Es sollte nie in einem "wie Phönix aus der Asche" Kontext verstanden werden. Es ging uns eher um das Miteinander in der Welt, um den Austausch und den Zusammenhalt, für den jeder einzelne Mensch wertvoll ist. Gerade weil er einzigartig ist.
Im Januar hat Viktoria-Mitgründerin Felicia Mutterer dir Vorschläge für einen neuen Text geschickt. Konntest du damit etwas anfangen?
S | Wir wurden vorsichtig gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, den Song ein bisschen mehr in Richtung Viktoria zu individualisieren. Ist ja klar, dass ein zwanzig Jahre alter Song auch mal einen kleinen "Retouch" vertragen kann. Wir haben uns dann die Bälle hin und her gespielt und viel telefoniert. Ich musste mich ja auch erstmal mit der DNA von Viktoria vertraut machen. Das lief aber wie am Schnürchen. Songs, denen man anmerkt, dass sie von irgendwelchen Marketing Heinis im Zoom Meeting werbebedingt rundgelutscht werden, finde ich persönlich ja fürchterlich. Das funktioniert nicht. Das merkt man den Songs auch sofort an. Die haben selten Flow und klingen dann wie eine Abschlussarbeit des ersten Lehrjahres einer Stadtsparkasse. Bei solchen Songs fühlt keiner irgendwas. Noch nicht einmal die Abschlussklasse. Deshalb war ich sehr froh, als Felicia sagte, dass es ihr und dem Team sehr wichtig sei, dass der Song textlich poetisch und selbstbewusst bleibt und in der Neuaufnahme Empowerment und Eleganz spürbar werden. Wir haben da zusammen eine gemeinsame Sprache gefunden und wir freuen uns sehr Teil dieser Community zu sein. Die Zukunft ist Himmelblau. Viva Viktoria!
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