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“Von Parität sind wir noch weit entfernt”

Wie verklickert man verkrusteten Unternehmen, dass sich Vielfalt auszahlt?

Ein Interview mit Johanna Mühlbeyer.



Johanna ist Geschäftsführerin und Gründerin von Equalate.


(Credit: Svenja Schäuble)




Ihre Mission: Den Mehrwert von Vielfalt im Sportbusiness greifbar machen. Zu den Kund*innen des Hamburger Start-Ups zählen unter anderem Red Bull, die WWP Group, SPORTFIVE, Infront und zahlreiche Bundesligisten. Nebenbei ist Johanna als Key-Note Speakerin auf Konferenzen und Events unterwegs.


Der Begriff "Diversity" meint nicht nur Vielfalt in Bezug auf die Geschlechter, sondern auch im Hinblick auf Alter, Religion, ethnische/soziale Herkunft, sexuelle Orientierung und auf Menschen mit Behinderungen. Inwieweit ist Diversity im Sportbusiness ein Wettbewerbsvorteil?

J | Vielfalt hilft uns, auf neue Lösungen zu kommen oder Probleme besser zu lösen. Vielfalt hilft auch, wenn es darum geht, neue Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewinnen, an die wir bislang vielleicht noch nicht ran kamen. Eine gewisse Repräsentativität meinesgleichen, also ein Ähnlichkeitseffekt sorgt dafür, meinesgleichen im Markt anzusprechen. Menschen, die sich im eigenen Arbeitsumfeld repräsentiert fühlen, sind tendenziell auch zufriedener und bleiben länger im Unternehmen. Stichwort: Mitarbeiterbindung, Retention im Englischen. Retention ist das neue Recruiting. Beides zählt zu den wichtigsten und kostenintensivsten Prozessen in Unternehmen. Das heißt, wer andauernd Leute verliert, weil ein toxisches Arbeitsklima herrscht, muss am Ende des Tages extrem viel Kohle und Zeit in neue Rekrutierungen investieren. Etwaige Rechtsfälle wegen Diskriminierung, Sexismus oder Rassismus wiederum verursachen Kosten. Und schau dir Viktoria Berlin an, dort gibt es Brands, die vorher vermutlich nie ins Sponsoring eingestiegen wären. Wie Douglas zum Beispiel. Aus meiner Sicht hat man da die Zahlen, die beim Ruf nach dem „Business Case“ immer gesucht werden.

Menschen mit unterschiedlichen Prägungen, Erfahrungen und individuellem Wissen muss man aber auch erstmal unter einen Hut bringen. Das ist natürlich auch eine unternehmerische Herausforderung...

J | …und wird meistens unterschätzt bzw. vergessen. Diversität muss gemanagt werden. Das heißt, dieser Mehrwert von Vielfalt hilft mir am Ende des Tages nur, wenn ich weiß, wie ich damit umgehe. Wenn fünf unterschiedliche Menschen zusammengeworfen werden, ist natürlich der Aufwand, die Reibung, die Diskussionsbasis erst mal höher, als wenn ich da fünfmal mich sitzen habe. Wer über Diversität spricht, muss auch über Inklusion reden. Ohne Inklusion keine Diversität. Wir brauchen eine Unternehmenskultur, die offen für Vielfalt ist und Führungskräfte, die die Fähigkeit haben, Diversität zu managen. Alle müssen verstehen, dass es für uns alle von Vorteil ist, wenn unterschiedliche Leute im Raum sitzen. Ansonsten passiert das, was wir oft sehen: Es kommt jemand anderes rein und die Person fällt relativ schnell aus dem System raus, weil ihre Andersartigkeit keinen Raum hat, dort Gehör oder Platz zu finden. Und dann bringt uns alle Diversität leider nichts.

Wie bekommt man diversere und inklusivere Strukturen in die Organisation eines Vereins?

J | Es ist natürlich immer wichtig zu unterscheiden, ob wir von Diversität auf dem Platz oder Diversität in den Organisationen und Strukturen sprechen. Die Spielerinnen bringen unterschiedliche Grundvoraussetzungen mit, unterschiedliche soziale Hintergründe, kommen aus unterschiedlichen Bereichen, sprechen manchmal nicht die gleiche Sprache. Da müssen vor allem der Verein oder der Trainer gucken, wo man vielleicht eine Einzelförderung bereitstellen muss. Welche Team-Maßnahmen sind sinnvoll? Und welche Strategien gibt es, damit alle im Verein ihre Fähigkeiten einbringen können? Solche Fragen muss man sich natürlich auch im Hinblick auf die Struktur oder Organisation eines Unternehmens stellen. Am Ende geht es auf Führungsebene darum, sich damit auseinanderzusetzen, was die Menschen in diesem System brauchen, um ihre Fähigkeiten bestmöglich einbringen zu können. Wie können wir strukturell unterstützen? Und zwar nicht alle mit denselben Mitteln, sondern mit denen, die jede*r einzelne benötigt. Das ist natürlich aufwändig. Aber genau das bedeutet Equity.

Equity meint Chancengerechtigkeit, denn Equality - die formale und rechtliche Gleichstellung von Personen - ist nicht immer gerecht. Die Frage muss lauten: Welche individuelle Unterstützung braucht jede einzelne Person? Dazu gehört auch Inklusion, also der Abbau von Barrieren, Diskriminierung und Ausschluss bestimmter Gruppen. Ziel ist eine gleichberechtigte Teilhabe.

(Credit: Equitytool.org)

Dazu muss ich natürlich herausfinden, was jede einzelne Person braucht. Wie und wo starte ich damit am besten?

J | Am besten startet der Prozess in den obersten Ebenen. Hier gilt es zu verstehen, dass es nicht darum geht, gleich morgen fünf Frauen einzustellen. Erstmal muss verstanden werden, ob und wo es intern Facetten gibt, die womöglich Vielfalt im Weg stehen. Es gilt herauszufinden, ob man irgendwo jemanden bewusst oder unbewusst ausschließt. Haben wir irgendwo Probleme, die dazu führen, dass gewisse Menschen vielleicht gar nicht ins System kommen? Es gilt die Strukturen vom Recruiting bis hin zu Beförderungen und Co. transparent zu machen. Dann kann man einen Schritt weiterdenken und überlegen, an welchen Stellschrauben gedreht werden kann, um beispielsweise diverser zu werden. Geht es darum, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen? Dann müssen Weiterentwicklungs- und Beförderungsmechanismen im Fokus meiner Betrachtung stehen.


Wie nutze ich die Vorteile von Vielfalt richtig und nachhaltig, ohne einfach nur Greenwashing bzw. Pinkwashing zu betreiben?


J | Eigentlich kann man relativ schnell sehen, ob es jemand ehrlich meint. Und zwar am faktischen Commitment. Wie viel Zeit wird in inklusive Prozesse und Maßnahmen investiert? Wie viel Budget wird reingesteckt? Werden personelle Ressourcen dafür freigemacht? Holt man sich externe Beratung? Und dann ist ganz wichtig: Ist die oberste Ebene involviert oder nicht.


Wenn nicht, hat man es dort entweder nicht verstanden, bzw. es ist einfach (noch) nicht wichtig genug. Oder andersherum: Der Druck ist nicht groß genug. Ich gehe in solche Gespräche meist rein, indem ich sage: Ich werde Euch zu keiner Veränderung zwingen. Ich möchte die Chancen aufzeigen, aktuelle Probleme mit Diversity Management zu lösen. Das kann zu einem klaren Wettbewerbsvorteil werden. Alle, die nur hören wollen, ‘wenn ich morgen fünf Frauen einstelle, verdiene ich übermorgen 100 € mehr’, muss ich natürlich enttäuschen. Der Prozess dauert etwas länger und ist etwas komplexer.


Die Initiative "Fußball kann mehr", in dessen Team auch unsere Viktoria-Mitgründerinnen Katharina Kurz und Verena Pausder sind, fordert eine verbindliche Quote von mindestens 30 Prozent Frauen bis 2024 in Aufsichtsräten, Präsidien, Vorständen und Geschäftsführungsebenen im Fußball. Parität hieße 50 Prozent. Was ist dein Ziel?


J | Ich bin Fan der Quote. Aber von Parität sind wir noch weit entfernt. Unter sozialen Gesichtspunkten wäre es natürlich schön, wenn es eine Repräsentativität unserer Gesellschaft auch in Unternehmen gäbe. Aber ich glaube, es ist vor allem wichtig, sich Gedanken zu machen, wie wir Diversität als ein Werkzeug einsetzen können, um die aktuellen Probleme der Businesswelt zu lösen.


Mehr zum Thema hörst du auch in Johannas Equalate-Podcast. Co-Gründerin Felicia Mutterer war dort zu Gast. Auch hörenswert: was Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg im Podcast “Hotel Matze” zu Diversity zu sagen hat. In dem Gespräch geht es außerdem um Mutterschaft. Was uns zu unserem nächsten Thema bringt…

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