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Fußball, Arbeit, Familie - WTF, Vereinbarkeit?

Kind oder Karriere? Darauf würde Almuth Schult sicher antworten: beides.




Die deutsche Nationalspielerin, Welttorhüterin, Olympiasiegerin und TV-Expertin ist dreifache Mutter - und weiterhin im Fußball aktiv.


(Credit: Karolin Knüppel)



Allerdings fehlt die Akzeptanz von Mutterschaft im Leistungssport. Kinderkriegen werde im Fußball der Frauen "sehr stiefmütterlich behandelt", erzählt sie im "kicker meets DAZN" Podcast. Komischerweise ist es im Männersport ganz normal, dass die Spieler während ihrer aktiven Zeit Familien gründen. Denn meistens bleibt die Arbeit an den Frauen hängen... 


Hierzulande muss das Thema “Mutterschaft im Profifußball” endlich mehr Beachtung finden. "Wenn man schwanger ist, behandeln einen Verbände immer noch, als sei man krank”, sagt Marion Sulprizio von der Sporthochschule Köln. Darüber haben wir 2023 schon berichtet. Den ganzen Artikel über Mutterschaft im Sport findest du hier


Doch das Thema ist damit längst nicht abgeschlossen. Schon gar nicht, wenn wir uns nun dem Thema Vereinbarkeit widmen. Vereinbarkeit von Familie, Sport und Beruf. Denn nicht jede:r ist Profisportler:in und kann vom Sport leben.


Care-Arbeit oder Fürsorgearbeit - also wer kümmert sich wie und wie viel um die lieben Kleinen, die Alten oder Kranken und den Haushalt - ist meist unbezahlt, unsichtbar und ungerecht verteilt.

Laut Bundesfamilienministerium wenden Frauen für Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Hausarbeit und Ehrenamt pro Tag im Durchschnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für auf als Männer. Männer leisten pro Tag durchschnittlich zwei Stunden und 46 Minuten Sorgearbeit, Frauen vier Stunden und 13 Minuten. Das ist der berühmte Gender-Care Gap, der viele andere Lücken zur Folge hat. Wenn Frauen sich um Kinder kümmern, haben sie weniger Zeit für Erwerbsarbeit und verdienen weniger (ein Grund für den Gender-Pay-Gap) und haben später weniger Rente (Gender-Pension-Gap). Gaps, wohin man schaut. 


“In Deutschland ist die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht. An der tatsächlichen, alltäglichen Gleichstellung arbeiten wir noch.” Diese Aussage ist ein offizielles Statement der Bundesregierung (nachzulesen unter dem Stichwort “Nachhaltigkeitspolitik” auf bundesregierung.de). 


Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein drängendes gesellschaftliches und politisches Thema. Und natürlich auch eine private Herausforderung. Erst Recht, wenn zu Kind und Karriere auch noch der “Nebenjob” Fußball dazu kommt, wie bei FC Viktoria Berlin Kapitänin Stephanie Gerken.




Sie sagt: “Ich bin da, um zu zeigen, Mütter können auch Teil dieses Projekts sein. Ich würde mich gerne mal mit Almuth Schult unterhalten, wie sie es macht. Wir haben einen Babysitter, aber leicht ist es nicht.”


(Credit: Michael Romacker, Location: Studio of Wonders)



Manchmal plagt das schlechte Gewissen

Steffi ist 32, ihr Sohn Henri fünf Jahre alt. Er kam zur Welt, da war sie noch im Lehramtsstudium, aber schon so weit, dass sie nicht mehr oft zur Uni musste. Das Kind war dann bei den Großeltern, vom Vater des Kindes lebt Stephanie getrennt.

Heute ist sie Vollzeit-Lehrerin an einer Oberschule in Teltow und unterrichtet Englisch und Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde.


 “Der Punkt der Überforderung kommt immer mal wieder. In der Winter-Trainingspause  war ich zwei mal richtig krank und musste Antibiotika nehmen. Ein normaler Tag heißt bei mir: Vollzeit arbeiten, danach meinen Sohn aus der Kita abholen, abends zum Fußball.”


Das Kind ist zwei- bis dreimal pro Woche beim Vater. Und auch Stephanies aktueller Partner, mit dem sie seit zwei Jahren zusammen ist, übernimmt abends den Kinderdienst, wenn Stephanie zum Training geht. Er fragt sie oft, wie lange sie dieses enorme Pensum erfüllen will. Wenn sie ihr Netzwerk nicht hätte, könnte sie ihren Sport nicht ausüben, sagt sie. Und trotzdem plagt sie manchmal das schlechte Gewissen. Sie steckt in einem permanenten Zwiespalt: Mutter oder Spielerin? Sie kann ihren Sohn schließlich nicht so oft mitnehmen, wie sie gerne würde.


”Finde mal eine Betreuungsperson, die am Wochenende mit mir zu Auswärtsspielen reisen möchte! Das ist, wo ich müde werde. Ich muss permanent organisieren. Mein Kopf ist immer am Arbeiten. Eine Pause, wie die spielfreie Zeit ist keine Pause, weil ich die Zeit dann komplett meinem Sohn widme. Aber ich habe auch Menschen in meinem Umfeld, die mich kritisieren. Ich würde das Kind vernachlässigen. Manchmal plagt mich dann das schlechte Gewissen. Ich hinterfrage mich sehr häufig. Hat mein Sohn Wutanfälle, weil ich zu wenig da bin? Bin ich überhaupt zu wenig da?”


Frauen, die alles unter einen Hut bringen wollen oder müssen - den Job, eine Karriere, dann vielleicht noch ein ambitioniertes Hobby UND ein Kind - werden gesellschaftlich oft abgestraft. Das fängt schon bei der Sprache an. Es gibt den Begriff “Rabenmutter”, nicht aber den des “Rabenvaters”. “Obwohl ich es eigentlich besser weiß, macht einem die Gesellschaft ein schlechtes Gewissen”, sagt Stephanie. Und einzig beim schlechten Gewissen bleibt es leider nicht…


Mütter werden abgestraft

Im Sport kennt man den Begriff “Penalty” (Strafschuss beim Eishockey oder Elfmeter im Fußball). In der Soziologie gibt es den Begriff “Motherhoodpenalty”, die Mutterschaftsstrafe. Er beschreibt den Umstand, dass berufstätige Mütter am Arbeitsplatz im Vergleich zu Frauen ohne Kinder Nachteile haben. Zum Beispiel

bei der Bezahlung. Das Gehalt von Frauen – und nur von Frauen – sinkt in Deutschland nach dem ersten Kind enorm, wie eine Studie zeigt. Besonders in Deutschland. Im Schnitt sind es 60 Prozent weniger Geld. Zum Beispiel, weil die Mütter bei Beförderungen übergangen werden oder in der Teilzeitfalle feststecken. Man spricht von der Teilzeitlücke oder dem Gender Hours Gap. Männer reduzieren insgesamt viel seltener ihre Arbeitszeit (11,2 Prozent) als Frauen (47,9 Prozent). Und auch aus anderen Gründen. 78 Prozent der Frauen geben familiäre Verpflichtungen als Grund für Teilzeit an, bei den Männern sind es gerade mal 34 Prozent, die z.B. wegen Kinderbetreuung ihre Arbeitszeit reduzieren.


Zur Mootherhoodpenalty gehört auch, dass Frauen, die nach der Geburt eines Kindes in den Job zurückkehren, oft als weniger kompetent und weniger zuverlässig wahrgenommen werden. Nationalkeeperin Almuth Schult konnte die Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit beim VfL Wolfsburg lange nicht abschütteln.

"Was passiert denn eigentlich, wenn Spieltag ist und deine Kinder sind krank ... Kommst du dann?" Solche Fragen hätten damals unausgesprochen im Raum gestanden, erzählt sie im "kicker meets DAZN" Podcast. Ob man das ihren Mann bei der Arbeit auch fragen würde?



Wie man den Wiedereinstieg in den Job nach der Geburt eines Kindes gestalten oder Care-Arbeit fairteilen könnte, ist auch immer wieder Thema im rbb-Podcast “Die Alltagsfeministinnen", den ich zusammen mit der Coachin Johanna Fröhlich Zapata hoste. Jede Woche ordnen wir einen realen Coaching-Fall aus ihrer Praxis gesamtgesellschaftlich ein. Denn oft stecken hinter scheinbar individuellen, privaten Herausforderungen strukturelle Probleme.





Vereinbarkeit muss Standard werden

Zu den strukturellen Problemen gehört die unzureichende Betreuungssituation durch Kitas oder Pflegestellen. Morgens einen “Wir sind heute zu”-Anruf vom Kindergarten zu bekommen, ist zur Normalität geworden. UND: Es kostet Unternehmen Millionen aufgrund von Personalausfall und sinkender Produktivität. Dafür gibt es heynanny. Dieser digitale Nanny-Self-Service unterstützt Unternehmen beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Unseren FC Viktoria Berlin Spielerinnen steht das Portal mit mehr als 20.000 Nannys sogar kostenfrei zur Verfügung. Denn die beiden heynanny-Gründerinnen Anna Schneider und Julia Kahle machen sich nicht nur für Flexibilität und Free-Choice von Frauen stark - sie sind auch FC Viktoria Fans. 




Julia Kahle ist CEO & Co-Founder von heynanny. Ihre zwei Kinder waren der Grund, warum sie aus ihrem ursprünglichen Job ausgestiegen ist. Während der Pandemie erkannte sie, dass Familie, Kinder und Gesundheit wichtiger sind als der Job. Julia wollte nicht am mental load kaputt gehen. Dann kam ihre Mitgründerin Anna Schneider, die früher selbst als Babysitter gearbeitet hat, mit der Idee einer Nanny-Plattform für Unternehmen ums Eck.


(Credit: Tribunalova)


Mit Kindern ist jeder Tag ist eine neue Herausforderung. Man muss sich immer wieder fragen, wer übernimmt heute was? Und sechs Wochen Schulferien sind richtig pain!”, sagt Julia. heynanny hat einen guten Marktzeitpunkt getroffen. In Zeiten des Fachkräftemangels sind alle Branchen auf qualifizierte Mitarbeiter:innen angewiesen. Und qualifizierten Mitarbeiter:innen muss man auch was bieten.


“Die Unternehmen brauchen gute Leute, die kriegen sie nicht einfach so. Sie müssen schon Employer of Choice sein, ein attraktiver Arbeitgeber, der den Mitarbeitenden etwas bietet”, so die Gründerin. “In Zeiten der Frauenquote will man natürlich vermehrt weibliche Fachkräfte anziehen. Unternehmen wie SAP und Allianz, mit denen wir unter anderem zusammenarbeiten, wissen um diese Notwendigkeiten.” 

Die Kunden des Start-Ups sind Unternehmen aus allen möglichen Branchen: Banken, Beratungen, Versicherungen, aber auch Einzelhandel und Handwerksbetriebe.

Gerade wenn beide Elternteile in Schichtarbeit sind oder jemand alleinerziehend ist, gehe es ums Überleben, sagt Julia Kahle. “Da kann sich keiner aussuchen, ob er oder sie zuhause bleibt und sich ‘nur’ um die Kinder kümmert. Wir wollen das Unternehmen Flagge zeigen und Verantwortung übernehmen. Vereinbarkeit muss Standard werden, damit Eltern sich nicht sorgen, wer sich um die Kinder kümmert. Und damit Eltern auch nicht allein auf den Kosten sitzen bleiben."


Und so funktioniert’s: heynanny richtet sich an Unternehmen und ist ausschließlich über die entsprechenden Firmen-Accounts nutzbar. Mitarbeitende Eltern dieser Unternehmen und Nannys legen jeweils Profile auf der Plattform an. Ob eine Betreuungsmöglichkeit im Umkreis passt, kann man aufgrund von einstellbaren Filterkriterien festlegen. Wird Kinder- oder Seniorenbetreuung gesucht? In welchen Zeiträumen braucht man Unterstützung? Geht es auch um die Beaufsichtigung der Hausaufgaben? Soll abends ein Essen gekocht werden?


Die Nannys wiederum - eine Mischung aus Studierenden, Freiberufler:innen, Erzieher:innen, Pfleger:innen oder Müttern, deren Kinder schon aus dem Haus sind - werden von heynanny einem Identitäts- und Führungszeugnischeck unterzogen und geben in ihrem Profil auch ihre Qualifikationen oder Fortbildungen an. Die Nannys arbeiten versichert und können nach einem persönlichen Kennenlernen schnell und unkompliziert digital gebucht werden. Die Bezahlung übernimmt dann - je nach individueller Vereinbarung - das teilnehmende Unternehmen. 


“Fast die Hälfte der Suchenden auf heynanny sind übrigens Männer! Die wollen und die brauchen wir”, freut sich Julia Kahle. “Damit wir aus dieser Nische rauskommen! Fürsorge muss aus der ‘privaten Ecke’ raus.” Das weiß auch die Bundesregierung. 2021 hat sich die Ampel-Koalition die Einführung der Familienstartzeit in den Koalitionsvertrag geschrieben. Eigentlich ist der sogenannte Vaterschaftsurlaub für dieses Jahr angekündigt. Aber es gibt immer wieder Streitigkeiten um den aktuellen Entwurf. 

Wenn es um Vereinbarkeit von Care- und Erwerbsarbeit in Deutschland geht, haben wir noch einen weiten Weg vor uns”, sagt Julia Kahle. “Es muss noch viel mehr passieren. Wir versuchen mit Heynanny nur die Lücken im Betreuungssystem zu schließen. Vor allem, wenn es um Randzeiten, Schichtzeiten, Ausfälle oder die Überbrückung bis zum Krippenplatz geht. Eigentlich ist das Sache der Politik! Und es ist ein volkswirtschaftliches Thema. Die Unternehmen haben das schon erkannt…”


Mama ist die, die auf dem Platz steht

Für unsere FC Viktoria Berlin Spielerin Steffi Gerken ist klar: Sobald ihr Betreuungsnetzwerk nicht ausreicht, nimmt sie heynanny in Anspruch. Denn sie möchte ihrer Leidenschaft Fußball so lange nachgehen, wie es möglich ist. Der Sport ist ihre Leidenschaft und Leidenschaften zu pflegen ist auch Selbstfürsorge: “Wichtig ist, dass man sich um sich selbst kümmert und das tut, was man liebt. Ich spiele Fußball seit ich vier Jahre alt bin. Was ich ohne Fußball wäre, das muss ich erstmal herausfinden. Es ist viel Arbeit, aber der Fußball gibt mir viel zurück. Der Sport ist nur für mich.”


(Credit: Kai Heuser, @heuserkampf)

Mit dem Team auf dem Platz kann Steffi auftanken und als bisher einzige Mutter im Team auch Role-Model sein. Sie lebt vor, dass man den Sport nicht aufgeben muss, bloß weil man ein Kind hat. Gleichzeitig wünscht sie sich, dass andere Spielerinnen nicht blauäugig in die Herausforderungen des Mutter-Daseins hineintappen.


Und nicht zuletzt möchte sie ihrem Sohn bestimmte Werte vorleben.


“Ich versuche das traditionelle Rollenbild aufzubrechen. Indem ich eben nicht jeden Abend zuhause bin, indem mein Partner kocht und meinen Sohn ins Bett bringt. Ich will, dass mein Sohn sieht, ‘Mama ist die, die auf dem Platz steht und als Kapitänin 100 Prozent Verantwortung für ihr Team übernimmt.’


Mehr zum Thema Vereinbarkeit

  • “Das Buch, das du gelesen haben solltest, bevor du Mutter wirst” von Johanna Fröhlich Zapata. (ISBN 3833891092) Sie schreibt, Vereinbarkeit sei eine Lüge und vor allem eine Überforderung – meistens der Frauen: “Wir brauchen neue Ansätze: in Unternehmen (Männer gehen selbstverständlich sieben Monate in Elternzeit); als gesamtgesellschaftliches Umdenken (Alleinerziehende sind das Maß familienpolitischer Entscheidungen) und als Alltagsfeminismus (Väter und Mütter kümmern sich gleichermaßen um die Kinder).

  • BarCamp Vereinbarkeit: Am 16.3. findet in Berlin das 2. Vereinbarkeits BarCamp statt. Die Veranstaltung richtet sich an alle Unternehmen, Organisationen und Professionals, die sich mit ihren Produkten, Aktionen und Services für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzen.

  • Care-Arbeit spielerisch fairteilen:  “Fair Play”-Kartendeck von Eve Rodsky macht die vielen kleinen, unsichtbaren Aufgaben des Alltags sichtbar. Aufgeführt sind 100 Tätigkeiten rund um Haushalt und Kinder. Es geht nicht darum, wessen Kartenstapel höher ist, wer mehr Fürsorgearbeit leistet, sondern darum, sich die meist nebenbei geleisteten Tätigkeiten bewusst zu machen und die Karten in der Elternschaft ggf. neu zu mischen.

  • Der Care-Rechner: Diese App rechnet dir aus, wie viel deine unbezahlte Fürsorgearbeit eigentlich wert ist. Ein erster Schritt in Richtung Gleichberechtigung kann das Sichtbarmachen sein. Wie viele Stunden hast du unbezahlt Haushalt und Kinder gewuppt? Was ist diese Zeit in Geld wert? Finde es heraus!


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